Sehnenbau: Dacron vs. Fastflight

       

Unterschiede der Sehnengarne Dacron und HMPE

In der einschlägigen Bogenliteratur findet sich sterotyp der Hinweis, dass für Holzbogen (selfbows) lediglich das Garn mit der Handelsbezeichnung „Dacron“ verwendet werden sollte, mit der Begründung, dass die höhere Elasatizität dieses Perlon – Derivats den Bogen nicht so stark beanspruche als das sich nicht so stark dehnende fastfligt – Material (HMPE).

Physikalisch geht es dabei um die Schlagzähigkeit des Materials im Moment, wenn die Sehne nach dem Lösen in die Standhöhe zurückschnellt und die nicht an den Pfeil abgegebene Energie in Form von Restschwingungen im Bogen abgebaut wird (s. dazu den Beitrag „Physik im System Schütze – Pfeil – Bogen).

Um es hier nochmal kurz auf einen Nenner zu bringen: neben der Standhöhe ist die Sehnendehnung ein weiterer Faktor, in den wir physikalische Arbeit investieren ohne praktischen Gewinn für die Pfeilgeschwindigkeit. Allerdings kommen wir beim Bogenschießen nun mal nicht ohne eine gewisse Standhöhe aus…

Ohne Zweifel bewirkt jedoch eine weniger dehnbare Sehne einen bis zu 10% besseren Wirkungsgrad des Bogens, so dass wir uns hier mit der Frage beschäftigen, unter welchen Bedingungen das steifere Sehnenmaterial auf unseren Primitivbogen verwendet werden kann.

Und was ist mit Leinengarn?

Eine ganz einfache Antwort auf die Frage, ob wir HMPE auf Primitivbogen aufziehen können liegt in der Tatsache, dass das althergebrachte Leinengarn ähnlich wie HMPE auf Dehnung reagiert: fast gar nicht. Bis zum Abriss messen wir bei unterschiedlichen Qualitäten Leinen eine Dehnung von max. 3% in Abhängigkeit von der Stärke der Eindrehung der Einzelfäden. Man kann also folgern, dass Naturfasern, die ebenso wenig Dehnung aufweisen wie HMPE, schon sehr früh auf Bogen geschossen wurden, das moderne Material nicht ausschließen bzw. die geringe Dehnung nicht das eigentliche Problem darstellt.

Welche Bedingungen sind also die Voraussetzung für die Verwendung von HMPE?

Generell ist die Frage für Bogen unter 30# nicht so entscheidend und je höher die Zugkraft, desto mehr kommt der Faktor der Dehnung ins Spiel. Trotzdem ist auch hier die Frage der Massenverteilung entscheidend, so dass wir sagen können: ein optimaler Wirkungsgrad ist in doppelter Hinsicht ein Gewinn, da massenoptimierte Wurfarme die gespeicherte Energie während der Beschleunigungsphase effektiver auf den Pfeil bringen und ihr geringeres Eigengewicht beim Auffangen der Restenergie in Standhöhe nicht so extreme Kerbschläge für das Holz bedeuten.

Mithin ist natürlich das Pfeilgewicht in Relation zum Zuggewicht  bei selfbows immer ein Faktor und vermutlich sind schon mehr „Primitive“ dem Unterschreiten des kritischen Pfeilgewichts zum Opfer gefallen als dem „falschen“ Sehnenmaterial, da sie tendenziell wie Leerschüsse wirken. In Kombination – zu leichte Pfeile auf HMPE oder Leinen geschossen – kann das (für den Bogen) tödlich sein.

Woran erkenne ich ohne große Vorkenntnisse, ob mein Bogen HMPE/ Leinen verträgt?

Ein sehr guter Indikator ist der Handschock, den ich beim Schießen in der Bogenhand spüre und der nichts anderes ist, als die Restenergie nicht massenoptimierter Wurfarme, die sich nun in meinem Handgelenk austobt. Wer also schon mit einer Dacron – Sehne ordentlich geschüttelt wird, sollte besser auf fastflight verzichten, oder zumindest schon mal Termine beim Physiotherapeuten buchen. Einige Schützen stehen auf diese Eruptionen und halten das für so ne Art elementare Selbsterfahrung im Sinne der Vergewisserung ihrer Existenz.

Praktische Kriterien für den Bogenbau

Für mich ist das Aufziehen einer Dacronsehne auf einen im Bau befindlichen Bogen immer mit mehr Stress verbunden, da ich auf Grund der starken Dehnung den Bogen wesentlich weiter durchbiegen muß um die gegenüber HMPE kürzere Dacronsehne in die Sehnenkerben zu bekommen. Und da dieser Vorgang mehrfach wiederholt werden muß, auch wenn das Zuggewicht noch weit über dem projektierten Maß liegt, wird das Material unnötig gestresst. Der Grund, schon sehr früh im Leben eines neuen  Bogens eine Sehne aufzuziehen ist häufig die Kontrolle der Mittigkeit, die dann im weiteren Bauverlauf, wenn noch etwas „Fleisch“ für Korrekturen vorhanden ist, durch Materialabtrag korrigiert werden kann.

Es ist für Bogen über 40# ratsam, zumal bei dünnen, massenoptimierten Enden, bei denen die Sehnenkerbe zwangsläufig in den Rücken eingeschnitten wird, eine Hornauflage oder dergleichen anzubringen. Es geht dabei weniger um das in der Literatur an mehreren Stellen bezeichnete Einfressen der Sehne in das Holz, als vielmehr um die Kerbwirkung der Sehne in Richtung des Faserverlaufs. Häufig liegt die Zugrichtung der Sehne in Standhöhe unter 45° zur Faserrichtung und kann die „Rampe“, die die Sehne halten soll, in Faserrichtung absprengen. Dies ist vor allem bei flachen Sehnenwinkeln der Fall, die ansonsten im Sinne einer guten Performance erwünscht sind.

Ansonsten halte ich das Dekret, auf Holz nur Dacron zu schießen für überflüssig.

                                           

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