Begriffsklärung: Langbogen und Flachbogen

Begriffsklärung: Langbogen – Flachbogen – Recurve

Als ich vor einigen Jahren mit meinem Esche – Flachbogen beim örtlichen Schützenver-ein auftauchte, um auf der neu eingerichteten Bogenbahn im Freien ein paar Pfeile flie-gen zu lassen, hörte ich einen der Kugelschützen seinen Kollegen fragen: „Ist das jetzt so ein Langbogen?“ Der Angesprochene bejahte das. Er ging einfach davon aus, dass Eigenbauten immer Langbogen sind.
Immer wieder kommt das Thema bei Bogenschützen auf den Tisch – auch außerhalb der Turniere, wo die Frage ja durchaus nicht als akademisch gelten muß. Dabei ist es grund-sätzlich egal, zu welcher Kategorie mein Bogen gehört, solange ich gut mit ihm klarkom-me.
Praktisch wird die Frage im Bogenbaukurs, wenn ich mich zwischen unterschiedlichen Holzarten für ein Bogenprojekt entscheiden soll. Flachbogen kann ich aus jedem Holz bauen, Langbogen nicht. Warum ist das so?
Kurz gesagt hängt das von den sehr unterschiedlichen Belastungsmodulen der unter-schiedlichen Hölzer ab. So ist beispielsweise Robinie extrem belastbar auf Zug, jedoch nicht auf Druck. Damit wird die Druckbelastbarkeit zum limitierenden Faktor bei diesem Holz.
Bei einem komplett rechteckigen Wurfarmquerschnitt verteilen sich die im Auszug zu-nehmenden Stauchkräfte optimal in der Fläche (Bogenbauch), so dass es an keinem Punkt zu Kraftspitzen kommt. Schon eine geringe Abweichung vom Rechteck oder zu schmale Ausführung des Wurfarms kann zu Stauchrissen und damit zu veränderten Ei-genschaften führen.

Historisch gewachsene Begriffe und heutige Verwendung

Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Alle (mir bekannten) industriell gefertigten Bo-gen sind Flachbogen. Egal wie lang sie sind.
Die Länge des Bogens spielt einmal eine wichtige Rolle für die Haltbarkeit (speziell bei Holz) und hat mit der Verwendung zu tun: Jagdbogen werden in der Regel kürzer und breiter gebaut, während der Targetbow dafür geschätzt wird, dass seine längeren Enden zu einem ruhigeren Schußverhalten beitragen.
Dass die Länge des Bogens kein zureichendes Kriterium zu seiner Einordnung ist, liegt auf der Hand. Sie steht immer in Relation zur Körpergröße des Schützen und zur Bauart.

Einen massenoptimierten Langbogen kann ich problemlos kürzer bauen als einen ver-gleichbaren Flat, indem ich ihn einfach im Handbereich mitarbeiten lasse. Aber auch das ist kein hinreichendes Kriterium zur Bestimmung der Bogenart, da ich natürlich auch den Flat im Griff dynamisch ausführen kann.
Trotzdem ist der Langbogen häufig länger als der Flat, da er deutlich schmaler gebaut wird und die Sicherheit gegen Bruch über die Länge erreicht.
Ötzi`s Bogen überragte seinen Schützen und hatte gewiss einen gleichmäßigen Auszug ohne Stacking im Vergleich zum Flat. Das liegt aber zum großen Teil auch an der hierfür verwendeten Eibe, von der schon die Engländer meinten: „she`s smooth in the draw“.

Welche Bogenart nun älter ist, kann nicht abschließend beurteilt werden, dafür reicht die Fundlage nicht aus. So ist beispielsweise der Holmegaard (ca. 12000 Jahre) zumindest als Hybrid anzusehen, da die Zone der größten Energiespeicherung völlig flach bis zur Schulter verläuft und erst dann ein Profilwechsel stattfindet zum ovalen oder dreieckigen Querschnitt.

Ich gehe davon aus, dass der Bogen an sich weitaus älter ist als der Holmegaard. Zum Einen ist er technisch schon so weit entwickelt, dass von vielen Vorgängergenerationen ausgegangen werden kann, bis sich so ein Design herauskristallisiert. Andererseits ver-weisen jüngere Funde am Baikalsee (Sibirien) auf eine etwa dreißigtausendjährige Ent-wicklung, da Steinspitzen mit bifacialen Abschlägen eindeutig als Pfeilspitzen identifi-ziert werden konnten.

Unsere Vorfahren waren ausgezeichnete Beobachter und erkannten sehr früh, dass Hölzer wie Eibe, Ulme oder Hartriegel durchaus schmaler und dafür mit höherem Quer-schnitt verbaut werden können, so dass wir sagen: reine Flachbogen waren wahrschein-lich in der Frühzeit eher selten.
Dies lag offensichtlich auch an den verfügbaren Werkzeugen, denn
mit Steinklingen ist es nicht so einfach, saubere Flächen abzurichten, ein Hobel macht es schon viel einfacher.

Der Siegeszug des reinen Flachbogens kam mit Saxton Pope und Anderen in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts über Amerika nach Europa. Vermutliche Haupttriebfeder dieser Entwicklung dürfte die breite Verwendung des Bogens als Jagdwaffe gewesen sein.
Ihre Haltbarkeit, Zuverlässigkeit und Zugkraft sollte nicht – wie etwa beim englischen Kriegsbogen – über die Baulänge erreicht werden, sondern über die Breite der Wurfarme.
Dies machte auch andere und bis dahin nicht bogentypische Hölzer zu möglichen Kan-didaten für den Bogenbau. Als fast logische Konsequenz entwickelten sich im Fadeout der breiten Wurfarme wuchtige Griffformen mit Shelf und schließlich über die Mitte aus-geschnittene Pfeilfenster.
Mit dem Aufkommen petrochemischer Erzeugnisse wie Fieberglas und Karbon entstand sehr schnell eine Bogenindustrie, als deren prominentester Vertreter Fred Bear zu nen-nen ist. In seinem Buch „The Archer`s Bible“ von 1960 wird bereits kein Wort mehr über andere Bogenformen verloren und es gibt ausschließlich Abbildungen von Flachbogen. Dies hängt offensichtlich mit der industrialisierten Bauweise zusammen, zuerst mit Holz-laminaten und ab den Fünfzigerjahren mit Kunststoffen, die eine profilierte Bauweise erschweren oder auch überflüssig machen.
Da die Form und Zusammensetzung der Wurfarme keine großen Varianten und indivi-duellen Merkmale zulassen, fließt der kreative Anteil vollständig in die Griff- oder Mittel-stücke ein.
Eine funktional eigentlich nebensächliche Angelegenheit wird zu einem Hauptmerk-malsträger und somit zum Fluchtpunkt individueller Identifikation.

Beispielbilder P1710801a 4xLB , davon 1 mit dynamischem Griffbereich
P1710807a LB CORVUS mit Geweihmittelteil
P1700958 Hybrid Ulme
P1700967 Hybrid Esche gebeizt

Was sind nun die Vorteile einer profilierten Bauweise bei Langbogen?

Wurfarme lassen sich physikalisch wie Blattfedern berechnen. Dabei geht die Höhe (Stärke) im Quadrat in den Wert der Zugkraft ein, Breite und Länge verhalten sich ledig-lich linear.
Das bedeutet in der Praxis, dass ich achtmal mehr Material an den Seiten oder in der Länge abnehmen kann gegenüber der Höhe und erreiche damit die gleiche Schwä-chung des Wurfarms. Damit wird der profilierte Wurfarm schlanker und leichter als der flach ausgeführte Wurfarm aus dem gleichen Material bei identischem Zuggewicht.
Die Konsequenz daraus ist nicht nur eine bessere Beschleunigung weil weniger Masse bewegt wird, sondern auch weniger Handschock und mitunter der Vorteil, dass das Pfeil-gewicht verringert werden kann.
Ein gut gebauter Langbogen kann problemlos mit Pfeilen geschossen werden, die im Gewicht deutlich unter der Faustformel 10gn/lb liegen, die für Flachbogen dagegen stimmig erscheint.
Überdies kann ein massenoptimierter Langbogen durchaus mit HMPE, also Fastflight – Sehnenmaterial geschossen werden, ohne dem Bogen zu schaden, da leichtere Wurf-arme nach Abgang des Pfeils beim Erreichen der Standhöhe weniger Kerbschlagwir-kung aufweisen. Auf historischen Langbogen wurde meist Flachs geschossen mit einer ähnlich geringen Dehnung wie HMPE.
Auf Grund der höheren Wurfarmmasse des Flachbogens sollte DACRON verwendet werden (womit ich abermals Leistung verliere, da ein Teil der Kraft in die Dehnung der Sehne fließt und nicht auf den Pfeil abgegeben wird). Diese Dehnung wird aber hier zur Schonung des Holzes benötigt (besagte Kerbschlagkräfte), außer man erhöht das Pfeil-gewicht deutlich.
Wir reden also bei der Massenoptimierung vom maßgeblichen Faktor, der einen Langbo-gen potentiell schneller macht als den Flachbogen bei gleichem Zuggewicht: geringere Wurfarmmasse und besseres Sehnenmaterial.

Um hier schließlich einem weiteren Klischee entgegenzutreten, noch kurz ein Wort zu der vermeintlich höheren Energiespeicherung beim Langbogen. Energie ist immer direkt von der Masse abhängig. Wir werden uns in einem weiteren Beitrag mit der Frage ausei-nandersetzen, wie die Auszugsdiagramme von Bogen zu interpretieren sind. Hier nur so viel: es sind Auszugsdiagramme und eben keine Ablassdiagramme. Das wird häufig in eins gesetzt, teilweise auch von den Autoren der „Traditional Bower`s Bible“ (TBB Tim Baker).

Allerdings tut sich ein Widerspruch auf, wenn ich argumentiere, der Langbogen sei schneller als der Flat auf Grund der kleineren Masse, die zu beschleunigen ist. Wie denn nun? Weniger Masse bedeutet doch weniger Energiespeicherung?
Leider ist die Erstellung eines Ablassdiagramms praktisch unmöglich. Aber wir können das Resultat beobachten: Pfeilgeschwindigkeit und Impact.
Jedenfalls kann ich einen Bogen herstellen, der eine ganz tolle, fette Auszugskurve aufweist, aber wirft wie ein nasses Handtuch (Siehe TBB Bd. 4 „The Turtle Bow“). Ein-fach, indem ich Masse falsch platziere ( beispielsweise Wickingerbogen).

Wie erklärt sich dann die hohe Popularität des Flachbogens?

Zum Einen sind Flachbogen deutlich einfacher herzustellen, industriell wie handwerk-lich.
Der Taper in Breite und Höhe verläuft linear und kann gut gemessen und angezeichnet werden. Das macht den Flat zum bevorzugten Kandidaten für Erstlingswerke im Bogen-baukurs.
Demgegenüber ist der organische Konturverlauf im Langbogen bedeutend komplexer und eigentlich nur in freier Formführung, praktisch ohne Konturhilfe herstellbar. Novizen rate ich, erst mal einen Flat zu bauen und sich dann mit einem Langbogen zu befassen.

Dazu kommt die Tatsache, dass die Arbeiten am massenreduzierten Rohling sehr vor-sichtig erfolgen müssen, da fehlerhafte Abträge kaum noch korrigierbar sind.
Psychologische Aspekte, Fragen der Verfügbarkeit und nicht zuletzt marketingtechni-sche Aspekte befördern diese Popularität.
So spricht die Industrie von „traditionellem Bogenschießen“, wenn nicht Compound oder Visier geschossen wird. In derselben Weise wird der Flachbogen kurzerhand zum Lang-bogen umbenannt, wenn er keine ausgeprägten Recurves aufweist. Der Recurve ist le-diglich ein Spezialfall des Flats, der im Auszug nicht wesentlich kürzer wird und einen spitzen Sehnenwinkel behält. Er benötigt aus Gründen der Torsionssteifigkeit den fla-chen und breiten Wurfarmquerschnitt.
Dies sind Marketingmaßnahmen, die nicht zur Klarheit beitragen, sondern Begriffe be-setzen wie feindliche Länder. Tradition hat vor dem industriellen Bogenbau existiert mit natürlichen Materialien, Holz, Sehnen, Horn, Pflanzenfasern etc.
Der psychologische Trick besteht darin, den Menschen weis zu machen, dass diese „In-novationen“ erst akkurates Bogenschießen ermöglichen, ja sogar der Beginn der Zeit-rechnung wird verschoben.
In Abgrenzung wird daher der Holzbogen als „primitiv“ bezeichnet, vorgeschichtlich, na-he bei vorsintflutlich, ungeachtet seiner komplexen Form und feinen Ausarbeitung. Mich stört das nicht, denn immerhin ist der Primus der Erste.

Fazit:
Eine präzise Begriffsverwendung verbessert die Kommunikation immer. Leider erlebe ich ständig, dass aus der bereitwilligen Übernahme seitens der Industrie falsch besetzter Be-griffe Mißverständnisse entstehen, die Unmut und materielle Verluste erzeugen.
Daher nochmals: der Langbogen definiert sich durch einen profilierten Wurfarmquer-schnitt, während der Flat eine rechteckige, plane Form aufweist. Hybride sind als Holz-bogen häufig anzutreffen und werden auch als Semiflat bezeichnet.
Ich persönlich schieße bevorzugt Langbogen, die gerne ein paar Zentimeter unter meiner Körpergröße liegen dürfen und im Griffbereich leicht dynamisch sind. Bei gleicher Zug-kraft
entwickeln sie durchaus höhere Pfeilgeschwindigkeiten und damit eine flachere und leichter einzuschätzende Flugbahn. Dies wird von den Hightechmaterialien im industriel-len Bogenbau überkompensiert. Die flache Bauweise ist hier fertigungsbedingt.

Zum Autor: Martin Worf, Bogenschütze und Bogenbau seit 1999, Kurse im Bogen- und Pfeilbau seit 2004.www.indiana-bogenbau.de

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